Stop Strassen/Haustür-Spendensammlungen

Aufklärungskampagne zur inakzeptablen Zusammenarbeit zwischen Hilfswerken & Spendensammelfirmen

Tag: Green Cross

Hintergrundbericht zum Thema Corris & Co. vom 5.11.2014 (aktualisiert im Juni 2015)

DIE WOHLTÄTIGKEITS-STRASSENRÄUBER HABEN AUSGESAMMELT (Hintergrundbericht zur immer umstritteneren Zusammenarbeit zwischen Hilfswerken & Spendenfirmen)

Sie kommen nicht aus der Kritik: Gewinnorientierte „Spendesammelfirmen“, bzw. Fundraisingagenturen wie Corris, Ten Fe, Wesser, Imis oder Lecho, welche für Hilfswerke wie z.B. den WWF, die Gesellschaft für bedrohte Völker oder Terre des femmes auf der Strasse oder vor Haustüren auf Spendenfang gehen. Das Sammelsystem ist nun am zusammenbrechen (aktuelle Anmerkung: In England steht es genauer gesagt kurz vor dem Totalkollaps – siehe News-Sheet).

Sein Einsatz kostet 850 Franken pro Tag: Ein Corris-Mitarbeiter sammelt für Swissaid. (Archivbild)

 Ein Wohltätigkeits-Strassenräuber lauert potentiellen Sammelopfern auf.

 

Profit mit Non-Profit: Absurd

Sie scheinen mittlerweile zum Strassenbild zu gehören, und auch vor Haustüren tauchen sie inzwischen nicht selten auf: Die (künstlich-)sympathischen bis militanten „Dialoger“ – in den anderen deutschsprachigen Ländern werden sie auch „(Spenden-)Keiler“ oder „Drücker(-kolonnen)“ genannt (siehe dazu auch Basler Zeitungsleserbrief/2.Teil). Zumeist handelt es sich um jugendliche Mitarbeitende, oft Studierende, die im Schnellverfahren ausgebildet werden und bei der grössten Sammelfirma, der Corris AG, im Schnitt mickrige drei Wochen bleiben. Nachdem vor zwei Jahren vor allem der Kassensturz und die Weltwoche unter anderem haarsträubende Arbeitsbedingungen und eine Vielzahl unlauterer Vorgehensweisen beim Sammeln aufgedeckt haben, hat’s im vergangenen Jahr in der Romandie “gekracht”: Im August berichteten gleich mehrere westschweizer Medien über aufkeimende Zweifel eines Hilfswerks am betreffenden Sammelsystem. Vielleicht ist endlich die Einsicht gereift, dass eine zu starke Kommerzialisierung, sprich: Die Auslagerung gewisser, zentraler Tätigkeiten von einer “gemeinnützigen Non-Profit-Organisation” (NPO) an eine “eigennützige Profit-Organisation” – was ja schon per Definition einen Widerspruch in sich darstellt (siehe dazu auch „Verbots-Plädoyer„) – prinzipiell nicht aufgeht. Amnesty International signalisierte in diesem Sinne, dass die Zusammenarbeit mit Corris „nicht in Stein gemeisselt“ sei.

Sieben bis acht Abschlüsse pro Tag (laut Corris-Kommunikationschef im Bund): Tatsächlich?

Der Menschenrechtsorganisation geht es jedoch kaum ausschliesslich um ethische, sondern auch um knallharte wirtschaftliche Gesichtspunkte. So verlangt Corris von einem Hilfswerk zum einen horrende 850 Franken pro sammelnde Person & Tag (gemäss 20 Minuten geht quasi die ganze erste sowie der grösste Teil der zweiten Jahresspende an Corris, und auch Imis „zweigt“ rund zwei Jahresbeiträge ab, wie die welsche Le temps erst gerade enthüllt hat). Zum anderen werden nun aber auch immer weniger neue Spendende gefunden: Anfang 1997 deutete Corris-Gründer und -Inhaber Gerhard Friesacher in einem K-Tipp-Artikel noch an, dass fünfzig Abschlüsse pro Woche, d.h. zehn pro Tag, absolut machbar seien. In der NZZ vom Dezember 2012 tönt es bei Tom Hofer, Chef Fundraising beim mit Corris kooperierenden Gehörlosenbund, nun aber ganz anders: „Vor einigen Jahren habe man noch von sieben bis acht Abschlüssen pro Dialoger und Tag ausgehen können… Heute seien fünf neue Spender bereits ein guter(!) Wert“ (die letzte Aussage wurde von Swissaid im eigenen Hausmagazin Anfang diesen Jahres quasi bestätigt, wo ein mit fünf Spendenzusagen pro Tag als erfolgreich angepriesener Sammler interviewt wird). Fazit: Die Anzahl Abschlüsse pro Tag sind von acht bis zehn (um 1997) auf heute zwei bis vier zurückgegangen. Und als wären diese Zahlen nicht schon bedenklich genug: Auch die durchschnittliche Mitgliedschaftszeit (bzw. die „Spendendauer“) ist deutlich gesunken, was den NPO gleich nochmal saftige Einbussen beschert.

Das über Agenturen laufende Strassen-Sammelsystem ist in England bereits grösstenteils zusammengebrochen

Ein wichtiger Grund für diesen Rückgang liegt darin, dass der heutige Hilfswerkbereich komplett überdimensioniert, d.h. der Spendenmarkt übersättigt ist. Immer mehr Leute sind aber auch einfach über die zweifelhafte Zusammenarbeit im Bilde und verzichten – von den Hilfswerken sträflichst übersehen – in der Folge auf eine Spende. Im Prinzip haben die NPO in den letzten 15-20 Jahren nichts anderes als kontinuierlich den „Vertrauensbonus“ aufgebraucht, den sie sich in den Jahrzehnten davor mit echtem Engagement mühsam erarbeitet haben. In England nennt man die Sammelnden schon seit Jahren “Chuggers” (BBC-News vom 5.7.2002): Ein Wortspiel aus “Charity”=Wohltätigkeit und “Mugger”=Strassenräuber. Die Fehlentwicklung im NPO-Sektor ist dort besonders weit fortgeschritten. Viele der “modernen”, d.h. vor allem fragwürdigen Fundraisingmethoden kommen aus Amerika oder eben England (dieses allerdings nicht).* Der immer grösser werdende öffentliche Druck hat in der jüngeren Vergangenheit nun dazugeführt, dass viele englische „NGO“ auf Eigendurchführung der Aktionen umgestellt haben: Laut der Public Fundraising Regulatory Association (PFRA) wurde 2012/13 bereits die Mehrheit aller auf der Strasse gefundenen Neuspendenden von „In-House“-Teams, bzw. von den NPO selbst, angeworben (es hat allerdings immernoch eine stattliche Anzahl von Strassensammlungen betreibenden Agenturen). Auch etliche Gemeinden haben die Sammlungen mittlerweile stark eingeschränkt (The Guardian, 6.3.2012), einzelne ein Totalverbot ausgesprochen. Einige besonders „schlaue“ Agenturen sind allerdings einfach auf „Doorstep-Chugging“ ausgewichen (man spricht die Leute direkt vor der Haustüre an). Weil diese genau genommen eigentlich noch einiges ältere „Alternativ-Methode“ (in Deutschland wurde bereits 1968 damit begonnen – siehe „Die Zeit“ vom 30.8.1985) aber auf viele Leute verständlicherweise nicht weniger penetrant als Street-Fundraising (oder einfach „Chugging“) wirkt, haben sich die Reklamationen in England über solch Hausierende 2012 auch schon wieder verdoppelt.

Ursprüngliches Urteil der Hilfswerkkontrollstelle Zewo zu dieser Art von Mitgliederwerbung: Ein „Witz“

Auch in der Schweiz konnte man den Trend zu vermehrten Haustürsammlungen mitverfolgen: So startete Corris vor wenigen Jahren ebenfalls mit einem Haustür-„Service“. Die sogar darauf spezialisierte „Pionier“-Agentur „Wesser“ konnte wiederum Green Cross, das Kinderdorf Pestalozzi & Pro Natura als Vertragspartner gewinnen; lange Zeit war das Rote Kreuz ihr einziger Kunde. Das wohl bekannteste Hilfswerk im Lande setzte hier schon rund 15 Jahre vor Greenpeace auf Face2Face-Aktionen (da es aber praktisch das einzige war, das so sammeln liess, konnte Wesser weitgehend unbehelligt agieren). Für grösseres Aufsehen sorgte erst ein SonntagsBlick-Leitartikel im Jahr 1997, wo heftige Kritik am SRK ausgeübt wird. Pikant: In diesem Beitrag kam auch die Hilfswerkkontrollstelle Zewo zu Wort und bezeichnete die Mitgliederwerbung des Roten Kreuzes mit Wesser als „Witz“(!), – nachdem sie die Methode nur ein paar Tage davor im bereits erwähnten K-Tipp-Artikel über die Zusammenarbeit zwischen Greenpeace und der Corris-Vorgängerfirma „Wissmann, Friesacher & Co.“ sogar im Detail auseinandergenommen hatte:

  • Spendensammeln sollte niemals aufdringlich sein. Erfolgsbeteiligungen fördern dies aber geradezu. (Anmerkung: Erfolgreiche Sammelnde erhalten bei Corris Boni.)
  • Die ausgelagerten Sammelaktionen erwecken einen falschen Eindruck. Man meine, dass es sich um Hilfswerk-Leute handle. Dabei sind es jobbende Studenten. (Anmerkung: …von kommerziellen Sammelfirmen – siehe dazu „Verbots-Plädoyer„.)
  • Wenn man das LSV (= Lastschriftverfahren, d.h. jeweils automatischer Abzug der Spende vom Bankkonto) langjährigen Mitgliedern anbietet, ist das in Ordnung. Aber wildfremde Leute schnell, schnell auf der Strasse zu überreden, ist nicht fair.

Einmal mehr der Filz

Es stellt sich i.d.S. die Frage, warum es die Zewo Ende der 90-er lediglich bei dem in den Medien geäusserten, öffentlichen Tadel belassen hat, anstatt rigoros durchzugreifen. Eine Durchleuchtung der Kontrollstelle fördert Erhellendes zutage: Der damalige Generalsekretär des Roten Kreuzes, Hubert Bucher, war zu jener Zeit selbst im Zewo-Vorstand (entspricht heutigem Zewo-Stiftungsrat)! Tatsächlich hatte die Zewo das Sammelsystem sogar offiziell verboten, und zwar – ebenfalls einem K-Tipp-Beitrag zufolge – bis Anfang 2005! D.h. die Zewo hätte den fehlbaren Hilfswerken „eigentlich“ das Zewo-Gütesiegel entziehen müssen! Stattdessen kam es zu einer zunehmenden Duldung (was sich selbstverständlich auch in der Verbotsaufhebung widerspiegelte). Im Speziellen, nachdem die heutige Geschäftsführerin, Martina Ziegerer, 2003 das Ruder übernommen hatte. Kein Wunder: Der Mann der Zewo-Geschäftsleiterin, Odilo Noti, ist Kommunikationschef & Fundraisingverantwortlicher der Caritas (in der Anfangszeit von Martina Ziegerer bei der Zewo war dieser sogar selbst im Zewo-Stiftungsrat)! Die Caritas steht, wie man’s erwarten kann, auf der Kundenliste von Corris. Und als wäre es nicht schon schlimm genug: Odilo Noti amtet seit 2007 auch noch als Präsident des Fundraiser/innenverbandes “Swissfundraising”, wo er die Interessen der dort nicht seltenen Fundraiser von mit Spendenfirmen zusammenarbeitenden (und ja oft auch grossen & einflussreichen) Hilfswerken vertritt. Und zuschlechterletzt: Swissfundraising-Vize ist Stefan Stolle, seinerseits Kommunikations- & Fundraisingchef bei Helvetas**, der stärksten Verteidigerin der Kooperation mit Sammelfirmen in der Öffentlichkeit (siehe zweiten und letzten Kassensturz-Beitrag zum Thema). Und ausgerechnet dieser Stefan Stolle war zuvor fast zehn Jahre ebenfalls bei der Caritas!

Abgehoben

Erstaunlich: Viele Hilfsorganisationen hatten ursprünglich das Risiko der Sammelzusammenarbeit durchaus erkannt. So meinte selbst einer der Hauptschuldigen am Schlamassel, eben Caritas-Kadermann Odilo Noti im schon angesprochenen SonntagsBlick-Leitartikel vom 30.3.1997 noch: „Langfristig ist das kontraproduktiv.“ Warum sind dann aber gleichwohl so viele NPO – vor allem in der ersten Hälfte der Nullerjahre – auf den “Corris-Zug” aufgesprungen (jetzt mal vom Durchwinken der zur Hilfswerklobbyorganisation umfunktionierten Zewo abgesehen)? Sie hätten die Sammlungen ja bereits von Anfang an selbst machen können? Die Antwort ist relativ simpel. Die Hilfswerke haben den Boden unter den Füssen verloren, sprich: Sie sind schlicht überheblich geworden, wie z.B. eine vergangene Lohnstudie des Instituts für Verbandsmanagement der Uni Fribourg zeigt (Radio RaBe): Zwischen 1999 und 2005 stiegen die Löhne im NPO-Sektor nämlich um zwei bis drei Prozent – JÄHRLICH. Momentan liegt der durchschnittliche Jahreslohn von Chefs & Chefinnen der bekanntesten schweizer Non-Profit-Organisationen laut der Schweiz am Sonntag bei 189‘000 Franken. Auch bei dieser fragwürdigen Entwicklung gibt übrigens England den Takt an: Gemäss Telegraph vom Februar diesen Jahres verdienen inzwischen 32 britische Hilfswerkmanager jährlich über 200’000 Pfund (d.h. über 290’000 Franken). Aus einer einem zweijährigen Telegraph-Artikel zum selben Thema beigefügten Umfrage geht hingegen hervor, dass rund 78 Prozent der Leserschaft NPO-Chefsaläre von „bereits“ 100‘000 Pfund (ca. 145‘000 Franken) für inakzeptabel halten!

„Das ist ein wirklich harter Job – man muss extrem motiviert sein.“ (Stefan Stolle von Helvetas im Tages-Anzeiger)

Aber auch aus einem vor vier Jahren speziell zur Problematik erschienenen Tages-Anzeigerartikel lässt sich Spannendes herauslesen. Ausgerechnet der altbekannte Stefan Stolle von Helvetas erklärte dort unumwunden: „Das ist ein wirklich harter Job – man muss extrem motiviert sein.“ Ebenfalls interessant: Im gleichen Artikel wird auch Greenpeace erwähnt, das im Gegensatz zu Helvetas mittlerweile nicht mehr zu bequem ist, die Aktionen selbst durchzuführen. Greenpeace ging im Beitrag davon aus, dass sich der Wechsel „gleich doppelt bezahlt macht – sowohl FINANZIELL als auch in Bezug auf das Image“ (die Umweltschutzorganisaton hatte die Spendenkampagnen zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre selbst gemacht, nachdem sie zuvor ebenfalls bei Corris unter Vertrag war; sie konnte also die Zahlen bestens vergleichen). Das bringt wieder einmal Helvetas-Stefan Stolle in die Bredouille. Der hatte nämlich letztes Jahr im bereits genannten Bund-Artikel verzapft, dass es Helvetas VIEL, VIEL GÜNSTIGER käme(!), „mit Corris zusammenzuarbeiten, als die Standaktionen selber durchzuführen“! Aber auch das Lob an Greenpeace ist lediglich relativer Natur: Obwohl die Umweltschutzorganisation selbst Ende 2013 bei Radio RaBe kommunizierte, dass sie weltweit aus Überzeugung auf Eigendurchführung solcher Aktionen umgestellt habe, haben gegenwärtig einige Greenpeace-Ländersektionen mit Agenturen angebandelt. Nachtrag (März 2016): Ausserdem war Greenpeace bis Ende 2015 immernoch Kunde von Corris(!), allerdings laut eigenen Angaben – ebenfalls im Tagi (4.4.2013) – „nur“ noch bei Telefonaktionen (…welche seit Kurzem in England z.B. von der  „Daily Mail“ zusätzlich massiv unter Beschuss geraten sind)…

 

* Anhang (Aktualisiertes in ROT): Die spezifische Form der „Strassensammlung“ wurde zuallererst 1995 von der Agentur DialogDirect, welche ein Jahr zuvor gegründet wurde und erst Haustürsammlungen anbot, für Greenpeace in Österreich spontan „ausprobiert“ (einige Mitarbeiter konnten da schon auf mehrjährige Erfahrung als Hausierer zählen – die Agentur Wesser hatte in Deutschland schon Ende 60-er Jahre mit Face2Face-Haustüraktionen begonnen). Interessant: Zu den wichtigsten Köpfen in der Anfangszeit von DialogDirect zählte damals neben „Oberboss“ Franz Wissmann auch Corris-Besitzer Gerhard Friesacher (siehe dazu auch Basler Zeitungsleserbrief/2.Teil) sowie Andreas Leitner (Generous Global Giving, siehe auch 2. Oktober-Beitrag) und Robert Buchhaus, Inhaber der Agentur „Face2Face-Fundraising“ (welcher schon beim unter dubiosen Umständen zustandegekommenen Bankrott von DialogueDirect United Kingdom im Jahr 2009 eine zentrale Rolle inne hatte – siehe Thirdsector vom 28.10.2009). Die drei genannten Firmen (DialogDirect, Corris & Face2Face-Fundraising) bilden zwei weltweite Agentur-Netzwerke, die nach dem anfänglichen Erfolg, von dem sich zahlreiche Hilfswerke blenden liessen, durch Expansion in andere Länder etappenweise entstanden. Das eine besteht vorwiegend aus DialogDirect Deutschland, Österreich & Italien  sowie  Corris (Schweiz) und das andere (eben Generous  Global Giving oder kurz GGG) aus DialogueDirect USA (die dortige Agentur konnte übrigens nur durch eine Bussenzahlung ein Gerichtsverfahren verhindern – siehe Post vom 7.2.2016) & Mexiko sowie Face2Face-Fundraising Österreich & Deutschland (siehe auch Irish Mail on Sunday vom 18.10.2015). Übrigens kaum zu glauben, aber wahr: Sogar Greenpeace selbst, bzw. praktisch alle anderen Greenpeace-Ländersektionen – bevor sie freilich ebenfalls den Kopf verloren – standen dieser Sammelform ursprünglich höchst skeptisch gegenüber und bezeichneten die DialogDirect-Leute gar als „verrückt“ (O-Ton: „Weird Austrians“)!

** Stefan Stolle hat sein Amt als Swissfundraising-Vizepräsident Ende April 2016 abgegeben 

 

  DER ZWEITE HINTERGRUNDBERICHT ZUR AKTUELLEN INTERNATIONALEN ENTWICKLUNG FINDET SICH HIER

 

 

SonntagsZeitungs-Leitartikel zum Thema Corris & Co. vom 21.03.2004

ILLEGALES GELDSAMMELN FÜR GREENPEACE, WWF UND CO. – TITELSEITE

(von Roger Müller und Andrea Bleicher)

Die Zürcher Firma Corris wirbt Mitglieder für Greenpeace, WWF, Terre des hommes Schweiz, Amnesty International, Swissaid, Pro Infirmis oder Green Cross. Dabei geht sie forsch und mit illegalen Methoden vor, wie Recherchen der SonntagsZeitung zeigen. Das Fundraising-Unternehmen setzt seine zumeist jugendlichen Sammlerinnen und Sammler massiv unter Druck, berichten Betroffene. Wer das Sammelziel nicht erreicht, werde ohne Zögern hinausgeworfen. Geschäftsführer Gerhard Friesacher widerspricht zwar: „Im letzten Jahr haben wir von 830 Dialogern nur fünf entlassen.“ Aber ein Viertel der so genannten Dialoger hört vor Ende des in der Regel auf ein paar Wochen befristeten Arbeitsvertrags auf, bestätigt er. Nicht mehr erwünschten Sammlern wird nämlich kurzerhand die Kündigung nahe gelegt. Das Unternehmen beschäftigt 35 fest Angestellte und 500 bis 1000 Sammler mit befristetem Vertrag. Wegen des Erfolgsdrucks wird bei Corris systematisch auch illegal gesammelt. In der Stadt Zürich ist es verboten, auf der Strasse Mitgliederbeiträge per Lastschriftverfahren (LSV) einzufordern. Corris arbeitet ausschliesslich nach diesem System. Der SonntagsZeitung liegen Belege vor, dass es in Zürich regelmässig zu LSV-Abschlüssen kommt.

Die Hilfswerke wollen von illegalen Methoden keine Kenntnis haben

Friesacher spricht von „einzelnen übereifrigen Sammlern“. Ein internes Sitzungsprotokoll zeigt jedoch, dass die Geschäftsleitung von Corris von den illegalen Aktionen weiss – und sie ausdrücklich duldet: „Wenn illegal geworben wird, muss die Kampagnenleitung informiert werden“, heisst es. Und weiter: „Wenn illegal, dann ohne Stand und T-Shirt.“ Wird ein Sammler bei einer illegalen Aktion von der Gewerbepolizei erwischt, gibt Corris offiziell vor, ihm zu kündigen. In Wahrheit wird er einfach in eine andere Stadt verschoben. Die Hilfswerke stehen trotzdem zu Corris. Von illegalen Methoden wollen sie keine Kenntnis haben. Für die Hilfswerke geht die Rechnung allerdings nur auf, wenn die Angeworbenen längere Zeit Mitglieder bleiben. Corris nennt als Erfahrungswert sieben Jahren, die ein Mitglied dabeibleibt. Die Firma verrechnet ihren Kunden laut eigenen Angaben für eine Woche Mitgliederwerbung auf der Strasse 3800 bis 4100 Franken pro Sammler. Bis diese Kosten gedeckt sind, dauert es rund zwei Jahre. Das heisst: Ein neu angeworbenes Mitglied zahlt im Schnitt fast zwei Jahre lang allein die Fundraising-Rechnung der Corris, bevor ein einziger Franken dem eigentlichen Zweck der Hilfswerks zugute kommt. Davon erfährt der potenzielle Spender im Anwerbegespräch nichts.

SPENDENGELDER FÜLLEN DIE KASSEN DER VERMITTLUNGFIRMA – SEITE 3

„Bei Corris steht nicht der Shareholder- sonder der Careholder-Value im Zentrum des Handelns“, wirbt die Marktführerin im Schweizer Fundraising-Geschäft in eigener Sache. Corris stellt seit zehn Jahren ganze Kolonnen von jungen SpendensammIern auf die Strasse, um für grosse Hilfswerke und Umweltorganisationen neue Mitglieder anzuwerben – und operiert dabei höchst unzimperlich. So quartiert Corris für Wochenkampagnen kleine Teams von Sammlern in firmeneigenen Wohngemeinschaften ein und schickt sie von dort aus in der Schweiz herum. Jeden Abend wird der Erfolg kontrolliert. Wer das Sammelziel nicht erreicht, dem wird mit Nachdruck die Kündigung nahe gelegt. Die Corris-Geschäftsleitung unter dem Österreicher Gerhard Friesacher duldet auch, dass die Sammler – intern Dialoger genannt – im Namen der Hilfsorganisationen illegal Mitglieder anwerben. Immer wieder gibt das Ärger mit der Gewerbepolizei. Zu einem Fall in Basel-Stadt heisst es in einem internen Protokoll: „…sobald ein Dialoger die Regeln missachtet und den bewilligten Standplatz verlässt, gibt die Gewerbepolizei den Namen des Täters durch, welcher dann offiziell von uns gekündigt wird. Inoffiziell werden wir ihn einfach nicht mehr nach Basel schicken.“ In Zürich, wo die Mitgliederwerbung in Verbindung mit Lastschriftverfahren (LSV) generell verboten ist, wird aus Erfolgsgründen regelmässig gesammelt.

Bis zu zwei volle Jahresspenden eines Neumitglieds gehen an Corris

Die Hilfswerke sehen sich selber nicht im Stande, ein ähnlich hohes Spendenvolumen mit eigenen Marketingmassnahmen zu beschaffen. Sie sind bereit, einen hohen Preis für die Anwerbung von Neumitgliedern zu bezahlen. Gemäss gut unterrichteten Quellen fliessen bis zu zwei volle Jahresspenden eines Neumitglieds in die Kasse von Corris. Greenpeace rechnet anhand eines Beispiels vor, wie viel die Zusammenarbeit mit Corris kostet. „Ein über Standaktionen gewonnenes Neumitglied kam uns 2002 im ersten Jahr auf 150.55 Franken zu stehen, bei durchschnittlichen Einnahmen von 94.55 Franken.“ Das ergibt ein Minus von 56 Franken im ersten Jahr. Im zweiten Jahr wird die Rechnung positiv. Sie wird umso positiver, je länger die Angeworbenen Mitglieder bei der Hilfsorganisation bleiben. Da hilft das Lastschriftverfahren entscheidend mit: Der Mitgliederbetrag wird direkt dem Konto belastet, ohne Einzahlungsschein. Wer kündigen will, muss das aktiv tun. Erfahrungsgemäss ist die Absprungquote bei LSV deutlich tiefer als bei Einzahlungsscheinen. Rund 20 Prozent der Lastschriftaufträge werden vor der ersten Abbuchung zurückgezogen. Die Corris-Sammler erhalten gemäss Leitfaden nur dann einen Vermittlungsbonus, wenn die Buchung über LSV erfolgt. Gemäss Corris unterstützen nach vier Jahren immer noch mehr als die Hälfte der neu gewonnen SpenderInnen und Spender die Hilfswerke finanziell. Die Firma wertet das als klares Erfolgszeichen. Andersherum gesagt: Die knapp 50 Prozent, die nicht vier Jahre Mitglieder bleiben, haben in ihrer Spenderkarriere mehr fürs Fundraising als für Hilfsprojekte eingezahlt. Corris bezahlt den Sammlerinnen und Sammlern auf der Strasse laut Friesacher zwischen 3200 bis 3500 Franken Fixlohn im Monat. Inklusive Prämien liegen 3500 bis 5500 Frankendrin. Die Koordinatoren, welche die Dialoger-Teams für die Kampagnen betreuen, verdienen laut Informationen der SonntagsZeitung zwischen 6000 und 8800 Franken. Hinzu kommen Spesen von teils weit über 1000 Franken. Friesacher bestreitet die Höhe der Koordinatorenlöhne. Zu seinem eigenen Gehalt will er nichts sagen.