Südkurier-Artikel (Deutschland) zum Thema Corris & Co. vom 24.8.2016

von Kevin Brutschin

WELTVERBESSERER IN DER FUSSGÄNGERZONE: EIN HARTER FERIENJOB

Mal geht es um Kinder, Tiere und Plastikmüll, mal um den BUND, Amnesty oder die UN-Flüchtlingshilfe. Während der Sommermonate trifft man nahezu täglich auf Profi-Spendensammler in den Innenstädten. Studentin Marie berichtet über ihren „verdammt harten Ferienjob“.

 

Marie winkt der Frau schon von weitem zu. Die schüttelt den Kopf, senkt den Blick und läuft schnell an ihr vorbei. Die Studentin im knallorangenen T-Shirt macht einen neuen Anlauf. „Einmal gestoppt für World Vision“, sagt sie freundlich zu einem Mann, „ich bin Marie und wer bist du?“ Dann berichtet sie von Hilfsprojekten und zeigt Infomappen mit Zahlen, Länderkarten und Bildern von lachenden Waisenkindern. Heute geht es in der Wilhelmstraße um Kinderpatenschaften der Hilfsorganisation World Vision. Doch Marie arbeitet nicht bei World Vision, sondern im Auftrag der Fundraising-Agentur Dialog-Direct. Sie ist eine von tausenden Werbern, die derzeit in den Innenstädten unterwegs sind.

Mal geht es um Kinder, Tiere und Plastikmüll, mal um den BUND, Plan, World Vision, Amnesty oder die UN-Flüchtlingshilfe. Allesamt Organisationen, die das Spenden-Siegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI) tragen. Sie arbeiten mit Dienstleistern wie Dialog-Direct oder Talk2Move zusammen, die professionelle Werber, sogenannte Dialoger, einstellen, schulen und auf die Straße schicken. Straßenarbeiter, die für „wenig Geld einen verdammt harten Ferienjob“ machen, wie die 21-jährige Studentin Marie aus Berlin sagt.

Vergangene Woche standen in der Wilhelmstraße noch Studenten in blauen T-Shirts von Talk2Move und warben für Mitgliedschaften beim Plan Kinderhilfswerk. Zuvor waren junge Menschen in grünen Shirts da, erklärten BUND-Projekte und TTip und auch, wie man die Welt ein bisschen besser macht. Durch Unterschriften und Überweisungen. Und zwar hier und jetzt. „Du kannst etwas Gutes tun“, sagt Marie derweil zu dem Mann.

„Für den Verbraucher ist es mittlerweile unübersichtlich, seriöse und unseriöse Anbieter voneinander zu unterscheiden“, erklärt Christel Neff, stellvertretende DZI-Geschäftsführerin. Sie rät davon ab, sich auf der Straße überreden zu lassen. „Nur die wohlüberlegte Spende ist auch die gute Spende“, sagt sie, „es gibt sehr viele unterstützungswerte Organisationen und da muss man sich in Ruhe überlegen, für welche Zwecke man sein Geld geben möchte.“

Dass die Dialoger, hauptsächlich Studenten, im Moment täglich in der Innenstadt anzutreffen sind, hat mehrere Gründe. Zum einen sind in den Sommermonaten mehr potenzielle Spender auf den Straßen, zum anderen wurde 2013 das baden-württembergische Sammlungsgesetz aufgehoben. Seither sind Haus- und Straßensammlungen nicht mehr erlaubnispflichtig. Allerdings brauchen die Betreiber von Infoständen auf öffentlichen Straßen eine Sondernutzungserlaubnis, die das Amt für Bürgerservice, Sicherheit und Umwelt erteilt. „Informationsstände können an den Plätzen Buchhornplatz Süd/Zeppelinspielmodell, Wilhelmstraße/Bereich Backwerk und Friedrichstraße/Bereich Commerzbank aufgestellt werden“, erklärt Stadtsprecherin Andrea Gärtner.

Eine Sondernutzungserlaubnis sei an verschiedene Auflagen geknüpft. Unter anderem dürfen nur Personen direkt am Stand informiert und keine Passanten belästigt werden.

„Wir schauen schon, dass wir die Städte nicht so belagern“, erklärt Ben Spiekermann, Kampagnenleiter bei Dialog-Direct, „aber wir wissen nicht, in welchen Städten die anderen Agenturen vorher bereits waren.“ Waren die „anderen“ bereits da, sinken die Chancen auf eine Spende. Deshalb ist die Kampagnenplanung ein gut gehütetes Geheimnis in der Welt der Fundraising-Agenturen. Wer wann und wo wirbt, erfahren die Dialoger meist erst kurz vor ihrem Einsatz. „Sonntags reisen wir in andere Städte weiter und bleiben immer etwa eine Woche“, erzählt Marie.

„Ich arbeite Montag bis Samstag von zehn bis 20 Uhr, mit zwei Stunden Pause“, berichtet die Studentin. Dafür gibt es den Mindestlohn. Hinzu kommen Prämien für Unterschriften, die nach einem komplizierten Punktesystem gestaffelt sind. „Rund 60 bis 70 Prozent sind Fixlohn, der Rest Prämie“, bestätigt Spiekermann. 1600 bis 2000 Euro brutto verdiene ein Dialoger durchschnittlich. „Das ist ein Knochenjob“, sagt Spiekermann, der selbst auf der Straße begonnen hat, „du wirst ausgelacht, ignoriert, angeschrien.“ Diesen Job mache niemand lange. Die hohe Fluktuation sei auch ein Grund, warum die meisten Hilfsorganisationen die mühselige Straßenwerbung auslagern.

Die Dienstleister werden – anders als die Hilfsorganisationen – nicht vom DZI überprüft. „Die Organisationen müssen für den Erhalt des Spenden-Siegels auch bei der Werbung und Öffentlichkeitsarbeit ethische Grundsätze einhalten“, erklärt Neff. Gebe es immer wieder Beschwerden über aggressive Werber, könne das im Ernstfall zum Entzug des Siegels führen. Das weiß auch Spiekermann, der auf Schulungen, Verhaltensleitfäden und Motivationstrainings hinweist: „Wir sind keine fiesen, bestialischen Wadenbeißer, sondern uns liegen die Projekte am Herzen.“

So geht es auch Marie. „Wenn ich nur Kohle verdienen wollte, hätte ich das einfacher haben können“, sagt sie. „Aber ich finde es toll durch Deutschland zu reisen und außerdem stehe ich hinter meiner Arbeit.“ Der Mann, mit dem sich Marie unterhalten hat, zückt den Kuli und unterschreibt. Marie lächelt. „Danke, dass du ein Teil von World Vision geworden bist.“